Noch vor wenigen Jahren regierte in Polen die PiS-Partei – ein politisches Klima, in dem sogenannte „LGBT-freie Zonen“ in dutzenden Gemeinden und Regionen eingeführt wurden. Die damalige Regierung verbot CSD-ähnliche Veranstaltungen faktisch, indem sie die öffentliche Sichtbarkeit von Regenbogen-Symbolen kriminalisierte. All das geschah mitten in Europa.
Auch wenn sich politisch zuletzt manches verändert hat, machen wir uns große Sorgen: Die jüngste Präsidentschaftswahl wirft neue Fragen über die Zukunft von LGBTIQ*-Rechten in Polen auf – gerade mit Blick auf gesellschaftlichen Rückhalt und staatliche Unterstützung queerer Organisationen.
Als langjähriger Partnerverein von Tolerado in Danzig war es uns wichtig, mit Arkadiusz („Arek“) zu sprechen – einem der zentralen Akteure unserer LGBTIQ*Städtepartnerschaft. Er gibt uns Einblicke, wie die Wahl vor Ort erlebt wurde und welche Perspektiven die queere Community in Polen aktuell sieht.
Polens LGBTIQ Community verliert an Rechten – Einblicke eines queeren Aktivisten aus Danzig
Stell dir vor, alle fünf Jahre sagen wir: „Jetzt wird sich etwas ändern. Jetzt muss es einfach besser werden.“ Und dann wachen wir wieder am selben Ort auf. Oder schlimmer noch – zwei Schritte zurück.
So war es auch diesmal. Die Präsidentschaftswahlen in Polen galten als mögliche Wende – für die Rechte von LGBTQ+-Personen, für Frauen, für Fortschritt. Ein Neuanfang, ein neues Gesicht, neue Hoffnung. Stattdessen: ein neuer Präsident vom harten rechten Flügel – Karol Nawrocki. Ein Historiker aus dem IPN (Institut für Nationales Gedenken in Polen Link zu Wikipedia), der lieber von der „traditionellen Familie“ spricht als von Gleichstellung. Der bereits angekündigt hat: Es wird kein Gesetz zu eingetragenen Partnerschaften geben, keine Zustimmung zu Antidiskriminierungsunterricht in Schulen. Das sind keine Mutmaßungen – es sind seine eigenen Worte.
In Polen hat der Präsident reale Macht. Jedes Gesetz – ganz gleich, wie gut es ausgearbeitet ist oder wie groß die öffentliche Unterstützung – landet auf seinem Schreibtisch. Ohne seine Unterschrift tritt nichts in Kraft. Selbst wenn die Regierung Veränderungen will, kann der Präsident sie blockieren. Und genau so jemanden haben wir nun im Amt.
Nach der Wahl fühlten viele von uns Wut, Ohnmacht, Enttäuschung. Für einen Moment war es still – als würde alles stehenbleiben. Dann kam die Mobilisierung. Uns war klar: Das wird kein Sprint. Es ist ein Marathon. Einer, in dem man weiterlaufen muss, auch wenn das Ziel sich wieder entfernt.
Der neue Präsident steht nicht nur für Politik. Er sendet auch ein gesellschaftliches Signal. Wenn das Staatsoberhaupt sagt: „LGBT ist keine Menschengruppe, sondern eine Ideologie“, dann wächst die Gewalt auf der Straße. Queere Jugendliche in Kleinstädten trauen sich nicht mehr, über sich selbst zu sprechen. In Schulen kehrt das Schweigen zurück. Gemeinden, die noch vor ein paar Jahren Resolutionen zu „LGBT-freien Zonen“ verabschiedet haben, fühlen sich wieder bestärkt – obwohl die EU ihnen dafür schon einmal Gelder gestrichen hat.
Aber es ist nicht alles düster. In größeren Städten – Gdańsk, Warschau, Posen – gibt es weiterhin Unterstützungsprogramme. Dort bekommen wir lokale Fördermittel, Rückhalt von Verwaltungspersonal, Sicherheit im öffentlichen Raum. Dort tragen wir Buttons, halten Hände – ohne Angst. Aber außerhalb dieser Städte? Da verstecken wir uns häufiger. Da schweigen wir öfter.
Auf nationaler Ebene sieht es schlechter aus. Im Parlament hat die Regierungskoalition keine ausreichende Mehrheit, um ein präsidiales Veto zu überstimmen. Deshalb konzentrieren wir uns jetzt auf kleine Schritte – solche, die den Alltag verbessern: etwa das Recht auf medizinische Auskunft oder auf Erbschaft. Das ist keine Gleichstellung, aber es ist etwas.
Nach der Wahl fragten sich viele von uns: Und jetzt? Lohnt sich das überhaupt noch? Wird sich jemals etwas ändern? Aber niemand sagte: „Wir geben auf.“ Da war erst Stille. Dann kamen Nachrichten: „Wir rollen die Fahnen nicht ein.“ Dann eine To-do-Liste für Montag. Und da war Wut, die sich in neue Pläne verwandelte.
Wir wissen, dass wir das nicht allein schaffen. Wir brauchen eure Unterstützung – unsere Freund*innen in Deutschland. Selbst kleine Dinge helfen: schnelle Förderungen für rechtliche Hilfe, Praktikumsplätze, gemeinsame Erasmus+-Projekte, Fundraising-Workshops. Noch mehr hilft aber das Wissen, dass ihr da seid. Dass ihr laut werdet, wenn der polnische Präsident Gleichstellung blockiert. Dass eure Städte reagieren, wenn unsere ausgeschlossen werden.
Polen steht heute zwischen zwei Welten: mit einem Bein in Europa, mit dem anderen in der Vergangenheit. Die Politik macht uns wenig Hoffnung. Aber unsere Community gibt uns Kraft. Denn egal, wer im Präsidentenpalast sitzt, wir wissen eines: Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen. Wir sind nicht aus dem Schrank gekommen, um wieder hineingezwungen zu werden.
Und nein – wir erwarten nicht, dass der Präsident eine Regenbogenfahne schwenkt. Wir wollen nur, dass er uns nicht im Weg steht, wenn wir einfach nur normal leben wollen. Ist das wirklich zu viel verlangt?
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