**Alt-Text:** Titelbild mit der Überschrift „LGBTIQ\* Rechte in Polen unter Druck“. Links ist eine Frau mit lila Haaren und sichtbaren Tattoos zu sehen. Rechts daneben steht in roten und violetten Textfeldern: „Ein Lagebericht von Monika Tichy (Lambda Polska)“, „Was bedeutet das fĂŒr die polnische LGBTQ\* Community?“ und „Interview mit queeren Aktivist\*innen aus Polen“. Oben rechts ist ein durchgestrichenes Symbol mit der Regenbogenflagge und der polnischen Flagge zu sehen. Thema: LGBTQ Rechte in Polen unter Druck.

LGBTIQ-Rechte in Polen unter Druck: Ein Lagebericht von Monika Tichy

LGBTIQ-Rechte in Polen unter Druck – so lĂ€sst sich die aktuelle Situation fĂŒr queere Menschen im Nachbarland leider treffend beschreiben. Im Rahmen unserer internationalen Partnerschaften hat Queer Cities e.V. Monika Tichy von der Lambda Polska Stiftung in Stettin um eine persönliche EinschĂ€tzung gebeten. Die Stiftung ist ein langjĂ€hriger Partnerverein unseres Netzwerks LGBTIQ* StĂ€dtepartnerschaften und setzt sich trotz zunehmender politischer Repressionen unermĂŒdlich fĂŒr die Rechte von LGBTIQ*-Personen in Polen ein.

Bereits gestern veröffentlichte Queer Cities e.V. ein Statement von Arkadiusz aus Danzig, Aktivist der Organisation Tolerado, das die aktuellen queerpolitischen Entwicklungen in Polen aus der Danziger Sicht beleuchtete. Monika Tichys Beitrag ergÀnzt diese Perspektive nun um einen bewegenden Einblick in die konkreten Auswirkungen auf queere Menschen im Alltag sowie die Arbeit queerer Organisationen vor Ort.

In ihrem ausfĂŒhrlichen Beitrag schildert Monika Tichy die dramatischen Folgen der letzten PrĂ€sidentschaftswahl, die wachsende Bedrohung durch rechtsextreme KrĂ€fte sowie die Perspektivlosigkeit, mit der sich viele queere Menschen derzeit konfrontiert sehen. Ihre Worte machen deutlich: Die LGBTIQ-Rechte in Polen stehen massiv unter Druck – und internationale SolidaritĂ€t ist wichtiger denn je.

Monika Tichy von Lambda Polska schildert warum LGBTIQ-Rechte in Polen unter Druck geraten sind

Das Ergebnis der PrĂ€sidentschaftswahlen in Polen ist fĂŒr uns auf vielen Ebenen niederschmetternd und erschreckend.

Vom Wahlausgang hing ab, ob die demokratisch gewĂ€hlte Regierung, die im Oktober 2023 ins Amt kam, Änderungen umsetzen kann, an denen das Gleichstellungsministerium seit ĂŒber einem Jahr arbeitet: eingetragene Partnerschaften fĂŒr gleichgeschlechtliche Paare, Schutz vor Hassrede und Hassverbrechen aufgrund von sexueller Orientierung, Geschlecht, Alter oder Behinderung, ein Gesetz zur rechtlichen GeschlechtsĂ€nderung sowie eine Lockerung des Abtreibungsrechts. Da der polnische PrĂ€sident das Recht hat, Parlamentsgesetze zu blockieren, und ein Veto nur mit einer 2/3-Mehrheit ĂŒberstimmt werden kann, hat der bisherige PrĂ€sident bereits den Schutz vor Hassrede blockiert (die Regierung plante, diesen nach den Wahlen erneut einzubringen), und beim Gesetz zu Partnerschaften wartete man bewusst auf einen neuen PrĂ€sidenten. Als LGBT- und feministische Bewegung kĂ€mpfen wir seit drei Jahrzehnten fĂŒr diese Rechte, und erstmals in der Geschichte bestand eine reale Chance, dass sie – wenn auch in begrenzter Form – RealitĂ€t werden. Jetzt ist klar: Keine der dringend notwendigen VerĂ€nderungen wird in den nĂ€chsten fĂŒnf Jahren – bis zum Ende der Amtszeit des neuen PrĂ€sidenten – umgesetzt werden.

Wir befĂŒrchten jedoch, dass es lĂ€nger als fĂŒnf Jahre dauern wird. Allein die Tatsache, dass im ersten Wahlgang die faschistische extreme Rechte 20 % der Stimmen erhielt, zeigt, dass auch die polnische Gesellschaft – wie viele andere – in einem rasanten Tempo nach rechts driftet. Es waren die Stimmen der rechtsextremen WĂ€hlerschaft, die dem PiS-Kandidaten zum Sieg verholfen haben, obwohl diese Parteien die PiS wegen ihrer sozialen Wohlfahrtspolitik kritisiert hatten. Es zeigt sich: Die Liebe zum Geld ist schwĂ€cher als der Hass auf Frauen, Migranten und Queers. Ein großer Teil der Gesellschaft – vor allem junge MĂ€nner – unterstĂŒtzt offen Diskriminierung und Ungleichheit und will seine cis-hetero-mĂ€nnlich-rassischen Privilegien behalten. Studien zeigen, dass viele in dieser Gruppe frustriert darĂŒber sind, dass junge Frauen nicht mehr wie ihre MĂŒtter oder GroßmĂŒtter „gehorsame Ehefrauen“ sein wollen. Diese MĂ€nner wĂŒnschen sich hĂ€usliche, sexuelle und emotionale Dienstleistungen wie ihre VĂ€ter oder GroßvĂ€ter – ohne Anstrengung. Sie sind frustriert ĂŒber ihr Single-Dasein und den Zölibat. Wenn wir den Anstieg der UnterstĂŒtzung fĂŒr die extreme Rechte und Faschisten betrachten, fĂŒrchten wir, wie die Parlamentswahlen 2027 ausgehen werden. Wenn sich die derzeitige UnterstĂŒtzung fĂŒr die Parteien so fortsetzt, mĂŒssen wir auf echte VerĂ€nderungen mindestens bis 2031 warten. Und das nur, wenn in fĂŒnf Jahren ein demokratischer PrĂ€sident gewĂ€hlt wird – aber wenn das Parlament rechts bleibt, sind die Chancen gering. Die PiS hat die öffentlichen Medien vollstĂ€ndig unter ihre Kontrolle gebracht und sie zu einem Propagandainstrument umgebaut, das ihr zwei Legislaturperioden lang die Macht sicherte – sowohl im Parlament als auch im PrĂ€sidentenamt.

Zudem besteht die aktuelle demokratische Regierungskoalition faktisch aus sieben Parteien, von denen eine – die PSL – konservativ-christlich-agrarisch geprĂ€gt ist und sich seit Jahrzehnten politisch opportunistisch verhĂ€lt. Inhaltlich steht sie der PiS nĂ€her als der Mitte. Sie blockierte innerhalb der Koalition die Legalisierung der Abtreibung und die Ehegleichstellung. Wir befĂŒrchten, dass sie die Koalition mit Tusk verlassen und eine neue Regierung mit der PiS und der extremen Rechten bilden könnten – rechnerisch wĂ€re das schon jetzt möglich. Eine Regierung, die schlimmer wĂ€re als die PiS-Regierung, da sie auch Faschisten einschließen wĂŒrde, könnte in Polen ohne Neuwahlen noch dieses Jahr entstehen. Und falls nicht jetzt, dann vielleicht in zwei Jahren nach der nĂ€chsten Parlamentswahl – angesichts der wachsenden Zustimmung zur extremen Rechten.

In einem solchen Szenario erwarten wir eine amerikanisch-ungarische Entwicklung: Verbot von Pride-MĂ€rschen, Verbot von sogenannter „Homo-Propaganda“ (also dem öffentlichen Sichtbarmachen von LGBT-Personen), Verbot von medizinischer und rechtlicher Transition, RĂŒcknahme bereits durchgefĂŒhrter rechtlicher GeschlechtsĂ€nderungen, Beibehaltung des Abtreibungsverbots, RĂŒcknahme der Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch bei Vergewaltigung oder Lebensgefahr fĂŒr die Schwangere. Und die RĂŒckkehr zu dem, was die PiS-Regierung acht Jahre lang gemacht hat: Hetze gegen LGBT+-Personen als „Perversion“ und „PĂ€dophile“, Blockade von Antidiskriminierungsbildung in Schulen, Respektlosigkeit gegenĂŒber trans Menschen in Behörden und im Gesundheitswesen. Wir erwarten einen Anstieg der Gewalt gegen LGBT+-Menschen im öffentlichen Raum und eine RĂŒckkehr der Suizidwelle, die 2019–2023 infolge der staatlichen Hasskampagnen stattfand und erst nach den Wahlen 2023 und dem Ende dieser Hetze durch die staatlichen Medien zurĂŒckging. Schon jetzt fĂŒhrt die Wahl des neuen PrĂ€sidenten zu mehr aggressivem Verhalten der extremen Rechten – sowohl online als auch offline.

Der scheidende PrĂ€sident Duda war ein blasser, KaczyƄski gehorsamer Mann ohne RĂŒckgrat oder eigene Meinung. Der neue PrĂ€sident Nawrocki hat eine dokumentierte Vergangenheit als Hooligan, Teilnehmer an SchlĂ€gereien, ZuhĂ€lter (also jemand, der mit der Prostitution anderer Geld verdient). Er half einem SexualstraftĂ€ter und nutzte spĂ€ter dessen Alter und Hilflosigkeit aus, um ihm eine Wohnung zu entlocken – eine Sozialwohnung, die fĂŒr BedĂŒrftige gedacht war. Ein solcher Mensch wird nun das höchste Amt im Staat bekleiden. Und die WĂ€hlerschaft hat ihn gewĂ€hlt, obwohl all das öffentlich im Wahlkampf bekannt war. So ist unsere Gesellschaft: Die Mehrheit hat sich fĂŒr einen Mann entschieden, der sich offen gegen Gleichberechtigung fĂŒr Minderheiten ausspricht.

WĂ€hrend unter PiS ein Drittel Polens durch BeschlĂŒsse auf lokaler Ebene zu „LGBT-freien Zonen“ erklĂ€rt wurde, könnte nach dem Regierungswechsel der gesamte Staat zu einer solchen Zone erklĂ€rt werden. Soziopsychologische Studien zeigen, dass queere Menschen in diesen Zonen hĂ€ufiger Suizidgedanken und psychische SchĂ€den hatten als außerhalb dieser Zonen.

Die Regierung Tusk hat nicht viele Änderungen zugunsten von LGBT-Personen eingefĂŒhrt. Die einzige war eine beschleunigte und vereinfachte Prozedur zur Änderung des Geschlechtseintrags in Ausweisdokumenten – aber diese erfolgt weiterhin ĂŒber Gerichte und nicht ĂŒber das Standesamt, und sie erfordert weiterhin medizinische Atteste, deren Beschaffung teuer, langwierig und im öffentlichen Gesundheitssystem praktisch unmöglich ist. Gleichgeschlechtliche Paare sollten die Möglichkeit zur Eingehung einer eingetragenen Partnerschaft ohne Adoptionsrecht (auch nicht fĂŒr das Kind des Partners/der Partnerin) erhalten, aber die Regierung wollte damit bis zum Ende der Amtszeit von Duda warten – und nun wird das Vorhaben vermutlich ganz aufgegeben. Die Abtreibung wurde nicht legalisiert, nicht einmal die Hilfe bei einem Schwangerschaftsabbruch wurde entkriminalisiert – wegen der Stimmen der PSL! Immerhin hören die Ärzt:innen in den KrankenhĂ€usern jetzt auf, aus Angst lebensgefĂ€hrliche Schwangerschaften nicht zu beenden – was unter PiS regelmĂ€ĂŸig zu TodesfĂ€llen fĂŒhrte.

Der Justizminister hat zwar große Fortschritte gemacht beim AufrĂ€umen des Chaos, das die PiS im Justizsystem hinterlassen hat, aber in 1,5 Jahren kann man nicht acht Jahre Unrecht beseitigen. Ohne einen neuen PrĂ€sidenten konnte weder im Verfassungsgericht noch im Obersten Gericht aufgerĂ€umt werden – beide sind weiterhin von PiS-Leuten besetzt und urteilen entsprechend.

LGBT+ Organisationen hatten unter Tusk kaum UnterstĂŒtzung von der Regierung. Lediglich die Gleichstellungsministerin Katarzyna Kotula stand uns solidarisch zur Seite, lud zu Konsultationen ein, zeigte PrĂ€senz bei Pride-Veranstaltungen und ĂŒbernahm Schirmherrschaften. Da Gleichstellung jedoch nur ein Abteilungsbereich ist und kein eigenstĂ€ndiges Ministerium, gibt es dort keine finanziellen Mittel zur UnterstĂŒtzung von NGOs. Auch kein Regierungsförderprogramm unterstĂŒtzte LGBT+-Organisationen. Die letzten 1,5 Jahre waren fĂŒr uns finanziell schwieriger als die PiS-Zeit: Seit die Regierung nicht mehr offen feindlich ist, zogen sich internationale Geldgeber zurĂŒck – sie unterstĂŒtzen nun andere LĂ€nder, in denen Verfolgung herrscht. Auch Crowdfunding brach ein, weil der öffentliche Zorn auf PiS nachließ. Vor einigen Monaten zog die US-Botschaft ihre UnterstĂŒtzung zurĂŒck – dabei war deren Geld ein bedeutender Teil des Budgets vieler queerer NGOs. Dieses Jahr haben bereits sieben StĂ€dte angekĂŒndigt, keine Pride-Paraden zu veranstalten – es fehlt an UnterstĂŒtzung von StĂ€dten, Firmen, Botschaften und der Community. Acht weitere StĂ€dte halten sich bedeckt – es ist wahrscheinlicher, dass es keine MĂ€rsche geben wird. In WƂocƂawek, einer Stadt mit 100.000 Einwohnern, in der letztes Jahr erstmals eine Parade stattfand, sagte die Organisatorin, dass es dieses Jahr eine geben wird – dank einer geerbten Wohnung, deren Verkauf das Event finanzieren soll. Den Rest verwendet sie fĂŒr ihre geschlechtsangleichende Operation – die in Polen nicht von der Krankenkasse bezahlt wird.

Organisationen aus Deutschland können polnische Organisationen unterstĂŒtzen durch:

  • den Aufbau von Partnerschaften, vor allem auf lokaler Ebene, nicht nur ĂŒber kommunale Zusammenarbeit – gegenseitige Besuche und gemeinsame Projekte;
  • finanzielle Hilfe, wenn möglich;
  • politische Einflussnahme durch Politiker:innen, mit denen ihr in Kontakt steht, um SolidaritĂ€t mit der polnischen LGBT-Community zu zeigen;
  • Hilfe bei Migration – besonders fĂŒr gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern und trans Personen.

Falls in Polen ein Verbot der medizinischen und/oder rechtlichen Transition kommt, wird dringend ein transnationales UnterstĂŒtzungsnetzwerk gebraucht, das:

  • eine Anmeldung in Deutschland ermöglicht, um hier die neue Selbstbestimmungsgesetzgebung zur Änderung von Geschlechtseintrag und Namen zu nutzen;
  • Familien mit minderjĂ€hrigen trans Kindern bei der Ausreise unterstĂŒtzt, damit sie lebensrettende Hormontherapien fortsetzen können;
  • erwachsenen trans Personen hilft, nicht nur wegen möglicher Verbote, sondern auch weil medizinische Transition in Deutschland von der Krankenkasse bezahlt wird, wĂ€hrend sie in Polen sehr teuer ist.

Der Queer Cities e. V. ist als gemeinnĂŒtziger Verein auf Spenden angewiesen, um unsere wichtigen Projekte zu erfĂŒllen.

Wenn du unsere Arbeit unterstĂŒtzen möchtest, nutze gerne dieses Spendenformular, um uns zu helfen.

Autor:


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert