In der ersten Junihälfte 2025 fand der mehrtätige LGBTIQ-Städtepartnerschafts-Workshop im Vereinsheim des Queer Cities e. V. in der Bremer Überseestadt des internationalen LGBTIQ*-Städtepartnerschaftsnetzwerks statt. Eingeladen waren Partnervereine und Aktivist:innen aus mehreren polnischen Städten, die seit Jahren mit Bremen und Bremerhaven in engem Austausch stehen. Mit dabei waren unter anderem Arkadiusz Jemielniak vom Verein Tolerado aus Danzig sowie Monika Tichy, Vorstandsvorsitzende von Lambda Polska aus Szczecin. Beide Organisationen gehören zu den langjährig aktiven Partnern im Netzwerk. Zum ersten Mal mit dabei war der frisch gegründete CSD Verden e. V., der eine neue Verbindung zur Stadt Zielona Góra in Polen aufbauen möchte – eine offizielle Partnerstadt von Verden.
Das Ziel des Treffens war es, gemeinsam auf die aktuellen politischen Herausforderungen für LGBTIQ*-Communities in Deutschland und Polen zu blicken, neue Strategien der Zusammenarbeit zu erarbeiten und konkrete Projekte für das Jahr 2026 zu planen. Der Workshop bot außerdem Raum für intensive Reflexionen zur internationalen Lage queerer Menschen sowie zum Rückgang institutioneller Unterstützung in beiden Ländern.
Ein zentrales Thema war die politische Entwicklung in Polen, insbesondere die Wahl eines neuen, PiS-freundlichen Präsidenten. Viele Organisationen aus Polen äußerten im Vorfeld des LGBTIQ*Städtepartnerschaften Networks große Sorge über die anhaltende Marginalisierung queerer Menschen im öffentlichen Diskurs. Arkadiusz Jemielniak machte in seiner Analyse deutlich, dass die Entwicklungen seit 2015 in Polen – von sogenannten „LGBT-freien Zonen“ bis hin zu systematischer Hetze in staatlichen Medien – eine ernsthafte Gefahr für queeres Leben darstellen. Die LGBTIQ*Partnerschaftstreffen bieten ihm zufolge eine Möglichkeit, Solidarität grenzüberschreitend erfahrbar zu machen. Auf die Frage, was man in Deutschland tun könne, um ähnliche Entwicklungen zu verhindern, antwortete er pointiert: „Die einfach nicht wählen.“ Gemeint sind rechte bis rechtsextreme Kräfte, die mit gezielten Falschmeldungen und populistischer Kommunikation Vertrauen in Demokratie und Minderheitenschutz untergraben. „Wie sollen sich da Menschen noch zurechtfinden?“, fragt er – und verweist auf die Bedeutung von Bildungsarbeit und Aufklärung als präventive Mittel.
Auch Deutschland blieb in der Analyse nicht außen vor: Der Rechtsruck in der Gesellschaft sei deutlich spürbar, betonten die Teilnehmenden. Wo vor einigen Jahren noch parlamentarische Mehrheiten von 85% für LGBTIQ*-freundliche Politik bestanden, sei heute unsicher, ob im Deutschen Bundestag überhaupt eine Mehrheit für LGBTIQ-Politik zustande kommen kann.
Insbesondere nach der letzten Bundestagswahl zeigen sich Verschiebungen, die langfristige Auswirkungen auf Förderstrukturen haben könnten. Fördermittel werden gerade in sozialen und unterstützenden Bereichen stark gekürzt stark gekürzt bzw. Kürzungen laut gefordert – auch in Polen ist die Situation angespannt.
Hinzu kommt, dass große deutsche Unternehmen wie SAP oder die Deutsche Telekom ihre Diversity-Programme teilweise wenn nicht komplett eingestellt haben. Was in Pressemitteilungen noch als Umstrukturierung oder strategische Neuausrichtung daherkommt, bedeutet für viele CSD-Vereine den Verlust wichtiger Unterstützungsquellen. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind bereits an rückläufigen Einnahmen bei Pride-Veranstaltungen bundesweit zu beobachten.
Vor diesem Hintergrund war der Workshop nicht nur ein Rückblick, sondern vor allem ein Ausblick: Wie kann queere Solidarität in Zeiten politischer Umbrüche konkret gelebt werden? Welche Projekte machen Mut und wirken nachhaltig? Die Teilnehmenden beschlossen, im kommenden Jahr interaktive Aufklärungsreisen nach Polen zu organisieren. Dabei soll nicht der touristische Aspekt im Vordergrund stehen, sondern ein echter partnerschaftlicher Austausch: deutsch-polnische LGBTIQ*-Aktivist:innen planen ein gemeinsames Reiseformat, bei dem Teilnehmende Land, Leute und queere Realitäten jenseits der Klischees kennenlernen können. Diese Reisen sollen Workshops, Gespräche mit lokalen Aktivist:innen und politische Bildung auf Augenhöhe umfassen. Gleichzeitig soll Raum für Begegnung, Kultur und Spaß bleiben – denn genau aus diesem Gleichgewicht lebt lebendige Städtepartnerschaft.
Der politische Teil des Workshops diente zudem der konkreten Planung für das Jahr 2026. Als zentrales Ziel wurde vereinbart, die LGBTIQ*Städtepartnerschaften weiter auszubauen und neue Akteure einzubinden. Ein Fokus liegt dabei auf dem CSD Verden e.V. i.Gr. und dem Instytut Równości Zielona Góra (Institut der Gleichheit Grünberg), da beide Vereine seit eng mit dem Queer Cities e.V. zusammenarbeiten. In Stettin und Danzig, wo die Zusammenarbeit mit Bremerhaven und Bremen bereits seit 2018 bzw. 2022 erfolgreich verläuft, sollen die bisherigen Formate der Pride-Beteiligungen und internationale LGBTIQ*Begegnungen weiterentwickelt werden.
Ein weiterer Diskussionspunkt war der Umgang mit zunehmender Repression und Förderkürzungen. Hier wurde ein Maßnahmenpaket besprochen, das unter anderem die gemeinsame Akquise von EU-Mitteln, Kooperationsprojekte mit Bildungsinstitutionen und eine stärkere Vernetzung mit städtischen Verwaltungen umfasst. Die Partner betonten dabei, dass politische Sichtbarkeit und Solidarität weiterhin entscheidend bleiben – gerade in Zeiten des negativen Wandels.
Besonders bewegend war das abschließende Gruppenfoto, das vor dem Vereinsheim von Queer Cities in der Überseestadt aufgenommen wurde. Es zeigt eine vielfältige Gruppe von Menschen: Junge und ältere Teilnehmende, Menschen mit und ohne Behinderungen, mit verschiedenen queeren Identitäten. Es ist ein Symbol für die Kraft gelebter Städtepartnerschaft – und für die Vision, dass Austausch und Empathie Grenzen überwinden können.
Das Queer Cities Netzwerk, das Dezember 2017 aus ersten Kontakten mit Tolerado in Danzig entstanden ist, hat sich in den letzten Jahren als starkes, internationales Bündnis etabliert. Die Idee, dass Menschen sich unabhängig von Herkunft, Identität oder Einschränkungen in ihren Kommunen sicher, sichtbar und selbstbestimmt bewegen können, bleibt das Herzstück dieser Bewegung.
Auch wenn die politischen Rahmenbedingungen rauer werden: Das Treffen in Bremen hat gezeigt, dass queere Zusammenarbeit lebt – solidarisch, kreativ und zukunftsgerichtet. Mit vielen neuen Ideen, einem gestärkten Netzwerk und viel Motivation startet das Queer Cities-Team in die Planung für 2026.
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